Kategorien: Electrification , Aluminium , Stahl
Veröffentlicht 20 Okt. 2023

Industrieunternehmen blicken auf der ganzen Welt in eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe – oder zumindest in eine Zukunft, in der die CO2-Emissionen gegenüber dem heutigen Niveau erheblich reduziert werden. Dabei spielt elektrisches Heizen eine wichtige Rolle.

Aktualisiert am 12.09.2022

Wir wissen mittlerweile, dass Emissionen aus fossilen Brennstoffen den Klimawandel verursachen und gleichzeitig eine Gefahr für die menschliche Gesundheit und die globalen Ökosysteme darstellen. In den letzten Jahren haben Regierungen und politische Entscheidungsträger darauf reagiert, indem sie Gesetze und Umweltziele eingeführt haben, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu minimieren. Ein wesentliches Merkmal dieses Prozesses wird die Energiewende weg von fossilen Brennstoffen hin zu sauberem Strom sein.

Forscher glauben, dass die umfassende Dekarbonisierung des Energiesektors von entscheidender Bedeutung sein wird. Nur so können Regierungen und Industrieunternehmen versuchen, die Klimaziele des Pariser Abkommens und des „European Green Deal“ zu erreichen. Dabei geht es darum, einen grünen Wandel in der EU dahingehend zu erreichen, bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent zu reduzieren, was eine Steigerung von 40 Prozent gegenüber dem aktuellen Ziel und letztendlich CO2-Neutralität bis 2050 bedeuten würde.

Elektrifizierung industrieller Prozesse ist der Schlüssel

Dr. Silvia Madeddu arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo sie sich auf Dekarbonisierungsstrategien für die Industrie spezialisiert hat. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel analysieren sie und ihre Kollegen das Potenzial für die Reduzierung von CO2-Emissionen durch die Umstellung der Wärmeversorgung in der europäischen Industrie auf elektrisch erzeugten Strom. Nur so ließe sich das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen. Madeddu erklärt, dass der Ersatz fossiler Brennstoffe durch kohlenstoffarmen Strom und die Nutzung dieses Stroms für zentrale Industrieprozesse wie Heizung von zentraler Bedeutung sei, um diese Herausforderung zu meistern.

Elektrisches Heizen in industriellen Prozessen ist für diesen Übergang von zentraler Bedeutung, denn die Industrie ist für rund 15 Prozent der CO2-Emissionen Europas verantwortlich.

„Angesichts der ehrgeizigen globalen Klimaziele können wir davon ausgehen, dass immer mehr Druck auf den Schultern der politischen Entscheidungsträger und Führungskräfte lasten wird, wenn es darum geht, die Energiewende zu beschleunigen und unterstützende Maßnahmen umzusetzen“, sagt sie. „Elektrisches Heizen in industriellen Prozessen ist für diese Umstellung von zentraler Bedeutung, da die Industrie für rund 15 Prozent der CO2-Emissionen Europas verantwortlich ist. Diese entstehen größtenteils bei der Erzeugung von Wärme durch Verbrennung von Brennstoffen. Daher könnte der Ersatz fossiler Brennstoffe durch kohlenstoffarmen Strom die Umweltbelastung industrieller Prozesse deutlich reduzieren.“

Die Studie von Madeddu ergab, dass die Elektrifizierung in Europa die industriellen CO2-Emissionen um 78 Prozent senken und die energiebedingten CO2-Emissionen fast vollständig verringern könnte – vorausgesetzt, der Energiesektor hätte die Dekarbonisierung bereits umgesetzt. Dies wiederum würde den Engpass in der Industrie auf nur noch verbleibende Prozessemissionen reduzieren.

CaptionDr. Silvia Madeddu works at the Potsdam Institute for Climate Impact Research, where she specializes in industry decarbonization strategies.

Sicherung des Zugangs zu Alternativen zu fossilen Brennstoffen

Laut Madeddu sind weitere Treiber für die Elektrifizierung die Effizienzvorteile elektrisch betriebener Technologien. Diese haben das Potenzial, im Vergleich zu Verbrennungssystemen erhebliche Energieeinsparungen zu erzielen. Zudem besteht die Notwendigkeit, alternative Energiequellen zu sichern und die Flexibilität aufgrund von Preisschwankungen zu maximieren.

Während die Elektrifizierung der Industrie in einigen Sektoren aus ökologischer Sicht bereits sinnvoll ist, muss der Zugang zu grünem Strom noch ausgebaut werden, um eine CO2-freie Produktion zu gewährleisten. Allerdings ist erneuerbarer Strom bereits auf dem Vormarsch, und die IEA prognostiziert, dass 80 Prozent des weltweiten Strombedarfswachstums im nächsten Jahrzehnt damit gedeckt werden könnten.

„Die weltweite Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energien hat stetig zugenommen, und das enorme Potenzial erneuerbarer Energien hat einen klaren Vorteil gegenüber anderen grünen Energiequellen wie Biomasse“, fügt Madeddu hinzu.

Der Übergang inmitten des Krieges in der Ukraine

CaptionDr. Sebastian Osorio, researcher at the Potsdam Institute for Climate Impact Research, specializing in electricity sector decarbonization and its interaction with other sectors.Die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren und insbesondere die industrielle Elektrifizierung auszubauen, ist seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine noch dringlicher geworden. Laut Dr. Sebastian Osorio, einem Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der sich auf die Dekarbonisierung des Stromsektors und seine Interaktion mit anderen Sektoren spezialisiert hat, dürften die derzeit sehr hohen Gaspreise in Kombination mit der unzuverlässigen Versorgung den Übergang hin zu emissionsfreien Technologien wie der Wärmeprozess-Elektrifizierung beschleunigen.

„Selbst wenn alternative Gasquellen wie der Ausbau von LNG-Terminals gesichert werden, könnte das Image von Erdgas als zuverlässiger Kraftstoff dauerhaft beschädigt werden. Dies lässt ernsthafte Zweifel an seiner Rolle als übergangsweiser Kraftstoff auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft aufkommen“, sagt er.

Osorio warnt jedoch davor, dass die Kombination aus hohen Gaspreisen, fehlenden Anreizen für einen Technologiewechsel und der Notwendigkeit kurzfristiger Lösungen nicht nur den Übergang verzögern, sondern auch neue Technologieabhängigkeiten schaffen könnte. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass Kohle verstärkt als Brennstoff eingesetzt wird.

Überwinden der Hürden

Obwohl die für die Umstellung auf elektrisches Heizen erforderliche Technologie weitgehend verfügbar ist, müssen noch Hürden überwunden werden.

Neben dem fehlenden Zugang zu grünem Strom sind mangelndes Fachwissen und die Tendenz der Industrieunternehmen, kurzfristige Gewinne gegenüber langfristigen nachhaltigen Investitionen zu priorisieren, weitere Hindernisse.

Auch die Kosten bleiben weiterhin ein großes Hindernis. Madeddu erklärt, dass Strom in Europa im Durchschnitt immer noch etwa dreimal so viel kostet wie Gas. Wie sie und ihre Kollegen in ihrer Publikation schreiben: „Investitionen der Industrie in die Elektrifizierung – und zwar nicht nur monetär –, sondern auch für die Aneignung von technischem Fachwissen, werden wahrscheinlich ins Stocken geraten, bis ein klares Szenario vorgelegt wird, in dem Strom kostenmäßig wettbewerbsfähig sein wird.“

Explodierende Energiekosten

Osorio räumt jedoch ein, dass diese Prognosen derzeit in Frage gestellt werden, da die Energiepreise weiterhin explodieren. Nicht nur die Gaspreise sind deutlich gestiegen, sondern auch die Strompreise, vor allem weil letzterer noch immer überwiegend von Gaskraftwerken bestimmt wird. Dies verstärkt die Notwendigkeit, die Dekarbonisierung des Energiesektors zu beschleunigen, damit strombasierte Technologien effektiv mit gasbetriebenen Technologien konkurrieren können, erklärt er.

Darüber hinaus argumentiert Madeddu, dass der Übergang beschleunigt würde, wenn gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Energiemarkt geschaffen würden. Vorschläge dazu wären die Anpassung der Stromsteuern und anderer Abgaben sowie weitere unterstützende Maßnahmen wie einer CO2-Steuer.

„Es ist daher von größter Bedeutung, die richtigen Anreize zu setzen, damit kurzfristige Lösungen nicht zu langfristigen Problemen werden“, fügt Osorio hinzu.

„Wenn eine CO2-Steuer eingeführt werden sollte, wird die Transformation des Stromsektors deutlich schneller und tiefgreifender sein. Eine neue Ära der Elektrifizierung, in der erneuerbarer Strom nicht nur der sauberste, sondern auch der günstigste Energieträger werden könnte, würde vorangetrieben“, schließt Madeddu.

Die Zukunft des erneuerbaren Stroms nach Angaben der Internationalen Energieagentur



Das Stated Policies Scenario (STEPS) der IEA prognostiziert ein starkes Wachstum für erneuerbare Stromquellen. Bis zu 80 Prozent der weltweiten Stromnachfrage werden davon im nächsten Jahrzehnt gedeckt, wodurch Kohle als primäres Mittel zur Stromerzeugung bis 2025 davon abgelöst wird. Bis 2030 werden Wasserkraft, Windenergie, Sonnenenergie, Photovoltaik, Bioenergie, Geothermie und konzentrierende Solar- und Meeresenergie gemeinsam fast 40 Prozent der Stromversorgung liefern.